Industrielle Abwärme als technische Herausforderung
Rütgers-Werke, Castrop-Rauxel
Die Übergabe industrieller Abwärme an ein Fernwärmenetz ist nie trivial. Es gibt aber Fälle, in denen die technischen Herausforderungen scheinbar fast in den Himmel wachsen. Die Übergabe von Heißdampf auf wechselndem Temperatur- und Druckniveau aus chemischen Prozessen ist so ein Fall. PEWO hat ihn bewältigt.
Key Facts
Rütgers Germany, Castrop-Rauxel, NRW
Heißdampfauskopplung aus Chemieprozessen zur Fernwärmegewinnung
- Hohe Wärmeleistung
- Hohe Sicherheitsanforderungen
- E.ON Fernwärme, Essen (Netzbetreiber, Auftraggeber)
- Rütgers Infratec, Castrop-Rauxel (Wärmeerzeuger)
- Zwei Dampf-Übergabestationen CAD S,
Wärmeleistung je 15 MW, Sonderausführungen - 16 Pumpen für Volumenströme von 2,5 m3/h bis 250 m3/h
2014
Rütgers Germany ist ein Chemieunternehmen. In Castrop-Rauxel betreibt es die weltgrößte Raffinerie für Steinkohlenteer. Der Produktionsprozess setzt in großen Mengen Heißdampf frei. Seit einigen Jahren wird dieser in ein vom Energieunternehmen E.ON betriebenes lokales Fernwärmenetz eingespeist. Hierfür lieferte PEWO zwei seiner bislang komplexesten und leistungsstärksten Übergabestationen.
Komplexität war erforderlich, weil es hier Heißdampf aus verschiedenen Prozessen weiterzugeben gilt:
- unter Druck stehender Sattdampf (139 °C / 2,5 bar), der speziell in der Phenoldestillation anfällt und
- nahezu druckloser Abdampf (115 °C / 0,8 bar), der aus anderen Prozessen kommt.
Beide Dampfarten verhalten sich vollkommen unterschiedlich, müssen aber in einer Übergabestation verarbeitet werden, und zwar sowohl gemischt als auch abwechselnd – je nachdem, wie gerade die Produktion läuft. Gerade der Medienwechsel aber beschwört die Gefahr explosionsartiger Dampfschläge durch Kondensatbildung herauf. Sie regelungstechnisch zu verhindern, hat oberste Priorität. Hierzu dient ein direkt an die Übergabestation andockendes Spezialmodul, eine Kondensat-Anstauregelung mit einem Kondensat-Sammelbehälter von 15.000 Litern Fassungsvermögen und sechs Pumpen. Letztlich mussten in diesem Fall also die ohnehin hohen Sicherheitsanforderungen der chemischen Industrie hinsichtlich Explosions-, Brand-, Leckage- und Korrosionsschutz bei der Auslegung der Anlagen noch einmal deutlich übererfüllt werden. Es handelt sich wahrlich um eine Übergabestation der Superlative.
Neben der Übergabestation lieferte PEWO auch das Netzpumpenmodul zum Erzeugen des nötigen Volumenstroms im Netz. Auch hierbei handelt es sich um eine Spezialanfertigung, die aber ebenso wie die Übergabestation auf der Technologieplattform des Modulsystems von PEWO entwickelt werden konnte.
Auch das Betreiben des Fernwärmenetzes wird durch die ständig sich ändernden Temperatur- und Druckverhältnisse beim Heißdampf nicht einfacher. Zwar wird das Netz nach der Übergabe mit Warmwasser betrieben; trotzdem setzen die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen ihre Prämissen. Die Vorlauftemperaturen schwanken zwischen 90 °C und 125 °C. Somit liegt hier der Fall eines „gleitenden Netzes“ vor. Die Installation von speziellen Druckausgleichsbehältern war erforderlich. Sie müssen durch eine Stickstoff-Sperrschicht gegen den Sauerstoff-Eintrag von außen gesichert werden, um Korrosion im Rohrleistungssystem zu verhindern.
Hinzu kam noch die Anforderung der Redundanz. Wegen der Versorgungssicherheit mussten Übergabestation und Netzpumpenmodul doppelt ausgeführt werden. Fällt eine Anlagenkombination aus, springt die andere ein. Zusammen ergab das einen Anlagenpark, der in der vorhandenen Bausubstanz kaum unterzubringen war. Daher bestand ein großer Teil der Entwicklungsarbeit darin, die Anlagentechnik maximal zu kompaktieren. Untergebracht werden musste sie letztlich in einem Raum von 10 m x 13 m x 8,40 m Höhe.
Für eine klassische Montage der Anlage vor Ort hätte der Platz gefehlt – und angesichts der Baulogistik auch die Zeit. Ganz zu schweigen von der Qualität. Diese Anlage erforderte Spezialwerkzeuge und Spezialvorrichtungen, die sich nicht zum Vor-Ort- Einsatz eigneten. PEWO schlug daher die Probemontage der kompletten Anlage in Elsterheide vor. Nach der Abnahme würde sie in einige wenige Bausteine zerlegt werden, die dann es dann in Castrop-Rauxel nur mehr noch zu rekombinieren galt. Dass PEWO in der Lage war, auch derart große und hochgradig individuelle Sonderausführungen als anschlussfertig vorbereitete Bausteine anzuliefern, überzeugte die Auftraggeber.
Damit alles passte, errichtete PEWO zur Probemontage in der hauseigenen Werkhalle einen "virtuellen Aufstellungsraum" in Form eines Holzgerüstes, das die realen Endmaße besaß. Sich dabei allein auf die CAD-Planung zu verlassen, erschien angesichts der Komplexität des Projekts als zu unsicher. Es war die Generalprobe für das, was später in Castrop-Rauxel erfolgte – ohne jede Komplikation.